Das Taxi des Niemandslandes

Die folgende Geschichte erschien in der Anthologie Fortgesetzter Versuch einen Anfang zu finden (München, 2005). Sie zählte zu den besten 21 unter 1.832 Einsendungen zum 1. Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenverbandes.

Jeden Dienstag zur späten Vormittagsstunde kam es angeglitten, beinahe lautlos, jedoch unerbittlich pünktlich, das Taxi aus dem letzten thüringischen Flecken jenseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze.

Es passierte die gewesene Demarkationslinie, fuhr einige Kilometer nach Hessen hinein, wendete und fuhr die gleiche Strecke zurück.

Ausnahmen gab es wenige, einige Male nur hielt es vor einem Gasthaus. Der Chauffeur und der stets gleiche Passagier stiegen aus und aßen dann gemeinsam. Zwischen ihnen fiel kaum ein Wort, die Routine des allwöchentlichen Vorgangs schien allmächtig zu sein.

Diese seltsamen Fahrten fanden seit über einem Dreivierteljahr statt. Der Taxifahrer, dem dieser merkwürdige Mensch eine zwar bescheidene, aber doch kontinuierliche Verdienstquelle eröffnet hatte, setzte gegenüber allen neugierigen Blicken eine hochmütige, wissende Miene auf. Mit der Lässigkeit des Eingeweihten, des Geheimnisträgers, wehrte er auch alle neugierigen Fragen standhaft ab.

So widerfuhr auch diesem Ereignis, was immer die Zeit allen Vorgängen bereitet, die ihre Einzigartigkeit verlieren. Das wöchentlich auftauchende Taxi war von der Alltäglichkeit besiegt worden, war ein Geschehen was zum wöchentlichen Leben einfach dazu gehörte.

Es waren schon 4 Monate, die ich in dieser Gegend hinter mich gebracht hatte. Umfängliche Vermessungsaufgaben hatten mich hergeführt, die nun offene Grenze schuf nach den Wochen des Jubels einige Probleme bürokratischer Art, pedantische Aufgaben, mit denen ich mich auseinandersetzen musste. Dabei war gerade diese Gegend der Ort grandioser Gefühle gewesen, patriotische Ausbrüche waren gefolgt. Nun atmete alles wieder einige Züge friedlicher und ich konnte mit meinem Team nachmessen und berechnen nach Herzenslust, ohne den Orkan der Weltgeschichte zu verspüren.

Das Auftauchen des merkwürdigen Fahrzeuges hatte meine Aufmerksamkeit sehr schnell erregt. Ich konnte jedoch, im Gegensatz zu manchen Ortsansässigen, in meinen Gedanken nicht zur Tagesordnung zurückkehren. Alles an diesem Gefährt war grau, Fahrer und Passagier einbezogen. Der Fahrer trug stets die gleiche graue Mütze zu einem ähnlich gefärbtem Hemd und grauer Hose, der Passagier einen bequemen dunkelgrauen Anzug. Sein Gesicht hatte ich oft betrachten können, er verbarg es nicht in der Tiefe des Wagens. Es verriet Intelligenz, wohl auch einige Tatkraft, die im Moment aber sehr gebremst schien. Alles jedoch wurde von der tiefen Nachdenklichkeit regiert, die seine Züge am deutlichsten prägte.

Ein literarisch gebildeter Mitarbeiter erwähnte die berühmte romantische Nebeldroschkengeschichte, mir kam dieser Vergleich jedoch unangebracht genug vor.

Zwei Dienstage später war es, wir hatten infolge schadhafter Geräte eine Zwangspause einlegen müssen, als ich müßig auf der Terrasse eines Cafes herumsaß. Ich vertrieb mir mit einigen Berechnungen die Zeit, hatte keine Augen für die Straße.

Auf der Terrasse vor dem Cafe ...

Das Geräusch bremsender Reifen riss mich aus meinen Überlegungen heraus, zu meinem Erstaunen hielt das seltsame Taxi dicht vor dem Cafe. Beide Männer stiegen aus und der Passagier, ein hochgewachsener athletischer Mann mit grauem Bürstenschnitt, redete einige Worte zu dem Fahrer. Dieser verzog sich daraufhin wortlos ins Innere des Restaurants.

Als der Mann auf mich zukam erhob ich mich aus meinem Korbsessel. Mit einer Geste deutete er an, dass er neben mir Platz nehmen wollte, ich bejahte, setzte mich danach wieder bequem zurecht.

„Sie sind mir unter all den Menschen, die mich in den letzten Monaten beobachteten, besonders aufgefallen“, begann er übergangslos, schwieg danach wieder und bestellte als die Kellnerin zu uns trat. „Sie wirken gleichermaßen aufgeweckt wie verschlossen, so als würden sie über all den Dingen stehen, die nicht nur für die Dörfler hier die Welt bedeuten. Natürlich, sie haben wohl einen Beruf der viele Ortswechsel mit sich bringt. Aber daran liegt es nicht. Sie erinnern mich zu sehr an Vergangenes, mit ihnen möchte ich gern darüber reden“.

Der Mann schwieg wieder, während ich nachdenklich gleich mehrere Zigaretten zwischen den Fingern zerrieb.

„Ich will Ihnen erzählen“, fuhr er dann fort, „weshalb ich die Lebensumstände der Taxibranche in H. ein wenig verbessere.“

Ich forderte ihn mit keiner Reaktion zum Weiterreden auf, ihm schien das zu gefallen und erneut setzte er an.

„Vor vielen Jahren, es gab natürlich noch die Grenze, liebte ich abgöttisch eine junge Frau. Sie bewohnte und bewirtschaftete mit großer Mühe einen Bauernhof im Kreise H. Ein Teil ihrer Verwandten war zwangsausgesiedelt worden, als verdächtige Elemente, sozusagen, sie hatte dem schwerkranken Großonkel, dem Oberhaupt der Sippe, versprechen müssen, den Hof unter keinen Umständen preiszugeben. In wahrer Nibelungentreue werkelte sie also, pflegte eine bei ihr verbliebene alte Tante und bekam keinen Mann auf den Hof. Die nahe Grenze ödete das Leben aus, die Geduldigen aber blieben und harrten der Wunder, die eines Tages kommen sollten, vorerst aber nicht kamen.

Ich lernte Maria in Erfurt kennen, wir verliebten uns Hals über Kopf ineinander. Nach einiger Zeit trafen wir uns auch wieder und durchwanderten in einem gemeinsamen Urlaub einen Teil der heimischen Wälder. Wie es schien recht erfolgreich, denn wenige Zeit später war sie schwanger.

Aber auch ich konnte ihr nicht auf den Einödhof folgen, ich galt als ein unzuverlässiges Element, durfte nicht in Grenznähe siedeln. Zudem wurde ich infolge meiner beruflichen Spezialisierung gebraucht, die Funktionäre des nie funktionierenden Planes jagten mich von einem Orte zum anderen.

Das Kind, ein Mädchen, kam zur Welt, begann ohne Vater aufzuwachsen, die Jahre vergingen und etwas in mir starb ab. Ich schickte reichlich Geld, sie schickte gelegentlich neue Fotografien.

Ich wollte und konnte dort nicht ansässig werden, die Macht hätte es auch nicht geduldet. Sie hielt ihr der Familie gegebenes Versprechen, werkelte weiter allein herum und die alte Tante lebte ewig.

So wurden Königskinder aus uns, die kein Strom trennte, die nur der Starrsinn aufhielt, die Unfähigkeit auf die äußeren Verhältnisse angemessen zu reagieren.“

Er hielt nach diesem Satz inne, verschränkte die Hände hinter dem Kopfe und blickte weit in die Landschaft hinein. In dieser Pose verharrte er einige Minuten, ich störte ihn auch dabei nicht. Von meiner Seite gab es nichts zu sagen, er schien auch keinen Kommentar zu wollen.

„Dann, ja dann“, mit diesen Worten griff er seine Erzählung wieder auf, „dann stand eines Abends jenes junge Mädchen in meiner Tür, damals lebte ich in Leipzig“. „Ich komme aus dem Eichsfeld“, sagte sie einfach, „ich bin hergetrampt. Ich habe ihnen etwas zu überbringen.“ Ich ließ sie ein und sie überreichte mir einen geschlossenen Briefumschlag. Ich bereitete ihr ein Abendbrot, überließ sie dann für kurze Zeit sich selbst und widmete mich dem Inhalt des Kuverts.

Es handelte sich um eine Nachricht von Maria. Überraschend genug erschien mir die ganze Botschaft, immerhin war von der Möglichkeit einer gemeinsamen Flucht die Rede. Niemals hatten wir gemeinsam geplant und nun dieser folgenschwere Vorschlag! Was mochte sie nur zur Preisgabe des verwandtschaftlichen Erbes veranlasst haben?

Ich dachte aber nicht weiter darüber nach, nicht an jenem Abend, ließ die Überbringerin der Nachricht übernachten, ohne viele Worte mit ihr zu wechseln. Am Morgen brach sie bald auf, wie sie sagte wolle sie zu Bekannten irgendwo im Ring um Berlin.“

Der Mann schwieg erneut trank ein wenig und musterte nachdenklich seine Umgebung. So blieb es einige Minuten und ihn schien es erneut zu freuen, sich nicht in mir getäuscht zu haben.

Nachdem wir uns eine Weile angeschwiegen hatten, leitete er mit einer Geste den neuerlichen Fortgang seiner Erzählung ein.

„Die Nachricht war kurz und lakonisch, ich sollte mich in genau zwei Wochen zu einer bestimmten Stunde in H. einfinden. Dort würde in einer Seitenstrasse ein Taxi auf mich zurollen, ich sollte den Fahrer nach einem bestimmten Ort fragen. Das wäre das Erkennungssignal, der Fahrer wäre sicher. Gleiches träfe auch auf die Überbringerin des Briefes zu.

Nach zwei Tagen Bedenkzeit entschloss ich mich zum Handeln und signalisierte mit der vereinbarten Ansichtskarte mein Kommen. Alles Weitere war schnell erledigt und am Tage des geplanten Termins befand ich mich in H. Maria hatte mir mitgeteilt, dass sie und das Kind getrennt von mir die Grenze passieren würden.

Alles sei sicher, hatte sie mir in ihrer Nachricht bekräftigt, ich verließ mich also ganz auf ihren Spürsinn, ihre Kenntnis der Verhältnisse. Die letzte Stunde vor dem Auftauchen des Taxis versaß ich in einem Cafe, welches entfernt genug vom Treffpunkt lag. In dieser grenznahen Region konnte jeder Fremde schnell auffallen, zudem war H. nicht jenes Urlauberidyll wie einige Orte benachbarter Regionen

Um 17 Uhr hatte ich mich am vereinbarten Standort einzufinden, das Auto sollte mir entgegen kommen. Ich hatte es anzuwinken, dem Fahrer dann die vereinbarte Frage zu stellen.

Aufgeregt und an der Wirklichkeit des Geschehens zweifelnd stand ich dann im Nebel. Es war Mittelherbst und das Wetter hätte für jeden mittelmäßigen Kriminalfilm die willkommene Kulisse abgeben können.

Herbstnebel im Park ...

Länger als angegeben brauchte ich nicht zu warten, das Auto kam pünktlich angeschnurrt und erwies sich als ein großer grauer Wagen russischer Produktion. Das Ritual des Kennwortsagens vollzog sich und in Windeseile saß ich auf dem Rücksitz. Mir war keine Zeit verblieben, den Fahrer ausgiebig zu mustern. Er schien es begriffen zu haben, drehte sich kurz zu mir um. Ich sah einem jungen dunkelhaarigen Mann mit runder Stirn ins Gesicht, sein Gesichtsausdruck schien um mein Vertrauen zu werben.

Nur die Augen, diese Augen schienen zu schweben als wollten sie vor etwas fliehen. Der Blick wirkte dadurch wie ins Nichts gerichtet. Wir wechselten einige Worte, ohne die Scheu voreinander zu verlieren. Dazwischen sang der Motor und bald hatten wir das Städtchen hinter uns gelassen. Ein tiefer, nebelschwerer Abend umschloss uns, so fuhren wir hinein ins Dunkel.“

Wieder schwieg der Mann, rieb dazu langsam seine Hände aneinander. „Ja, so war es“, meinte er plötzlich ganz schlicht, „bald befanden wir uns im Walde. Es passierte in jenem Moment, da wir unbeleuchtet einen Nebenweg entlang rollten.

Grelles Licht stach auf uns ein, mehrere Personen umringten den Wagen. Es waren zu viele, uns blieb keine Fluchtmöglichkeit mehr. Im Nu hatten sie uns auch getrennt, schleppten uns in verschiedene Richtungen. Ich sah noch wie der Fahrer wütend nach dem Kotflügel seines Wagens trat, dann wurde es dunkel um mich herum.

Den Rest erspare ich ihnen, jedenfalls den ausführlichen Rest. Sie können ihn sich denken. Untersuchungshaft, Verhandlung, Haft, Freiheit, Misstrauen. Dann die plötzlich so offene Grenze!

Verschwunden blieben Maria und das Kind. Bisher las ich noch keine Akten, forschte auch sonst nicht.“

„Und was wurde aus dem Fahrer“, fragte ich, unterbrach damit zum ersten Male seine Erzählung. „Ja der Fahrer! Der war der große Unbekannte. Mitten im Walde, nachdem wir uns ausreichend besprochen hatten, sagte er noch folgendes zu mir: „Erschrecken Sie nicht, ich bin bei der Firma, ich hab die Firma aber gründlich satt. Sie fraß mich mit Haut und Haaren auf, zerstörte mein voriges Leben. Ich bin bei der Firma, darum kann ich Leute so nahe an die Grenze bringen. Ich verrate die Firma, verrate wo ich nur kann“. Weiter kam er nicht. Als sie ihn überwältigten, schlugen sie brutal auf ihn ein.

Heute ist er eine gestörte Persönlichkeit, lebt in einem Sanatorium in der Nähe“.

„Wann wurde er krank“, fragte ich langsam, „davor oder danach“, und spielte auf die Öffnung der Grenze an.

„Danach“, meinte mit Nachdruck mein Gegenüber. Ich hatte verstanden. Ich begriff nun auch, wie der Mann neben mir seinem Erleben hinterher fuhr, die Wunde in sich damit schließen wollte. Wie und warum er dort etwas suchte, wo es nichts zu suchen gab.

Ich sah zum Taxi hin, der Fahrer war unbemerkt an uns vorüber gegangen und polierte nun die Scheiben des Wagens. Die Serviererin trat aus dem Haus und wendete sich an den Erzähler. „Für sie ist eine Nachricht gekommen. Man lässt ihnen sagen, heute Abend, an der gleichen Stelle wie damals.

„Er weiß also…“, setzte ich an. „Nichts neues“, antwortete mein Gegenüber, drei solcher Nachrichten erhielt ich bereits“.

Erneut schwiegen wir eine Weile, schließlich bezahlte er. Bevor wir zu ein paar Abschiedsworten kamen, näherte sich uns der aufgeregte Taxifahrer.

„In H. ist ein Kollege überfallen worden. Der Täter ist mit dem geraubten Taxi in unbekannter Richtung flüchtig“. Der Mann starrte den Fahrer an, drehte sich schließlich zu mir um. „Manchmal trifft man sich doch ein zweites Mal. Leben Sie wohl, vielleicht steuert mein Leben in der Zukunft wieder in eine andere Richtung.“ Als das Auto abfuhr grüßte er noch einmal kurz mit der Hand. Eine halbe Minute später verschwand das Gefährt im Walde.

Blatt für Blatt

Wieder war es Herbst geworden, ein frischer Wind trieb seit dem Morgen die braunen, sich krümmenden Blätter durch die Strassen. Am Spätnachmittag regnete es und das die Gehsteige tapezierende Laub wuchs zu einem einzigen Teppich. Die Menschen hasteten eilig darüber hinweg und die Luft schien zu einem einzigen Niesen anzuschwellen.

Angesichts des hin und her strebenden Menschenschwarms, fiel ein alter Mann auf, der es sich auf dem Gehsteig bequem gemacht hatte. Dieser achtete nicht darauf, daß die Regenfäden seine abgetragene Jacke attackierten, ganz im Gegenteil wühlte er voller Hingabe in den nassen Blättern und packte sich sogar einige aufs gelichtete Haupt.

Die meisten der Vorbeigehenden hielten es nicht einmal für erforderlich, das berühmte Fingerzeichen an die Stirn auszuführen. Nur einige wenige, gut behütet unter ausladenden Schirmen, widmeten sich diesem seltsamen Alten und seinem Tun.

Ein sorgfältig gepflegter Herr mit überdimensionaler Hornbrille, hielt es schließlich für seine Pflicht, die Diskussion zu eröffnen.

„Sagen sie bitte“, so formulierte er, „ist es ihnen bewußt, daß sie ein öffentliches Ärgernis darstellen“.
„Ein öffentliches Ärgernis bin ich auch so“, gab der Alte unbekümmert zurück, „ich bin über die Siebzig, lebe noch immer und verfresse auf Staatskosten meine Rente“.
„Was erdreisten sie sich“, schnaufte die Hornbrille, „gerade das Alter sollte der Jugend immer zum Vorbild dienen“.
„Ich genieße nur den Herbst meines Lebens, und auch in dieser Form“, kicherte der Alte,
„das ist doch wohl nicht zu verbieten! Wer weiß ob sie sich nicht schon im Winter des
ihrigen befinden und ihr Ende ganz nah ist. Weiß mans“? Er grinste listig und schob
einen Haufen Blätter vor die Schuhe seines Widerparts.

Dieser wurde krebsrot, raffte seine Kollegmappe, an der er wild herum geknetet hatte und eilte spornstreichs fort. Dabei wurde ihm eine von herunter gefallenen Blättern verdeckte Pfütze zum Verhängnis. Sein Ausgleiten folgte unvermeidlich, unvermeidlich blieb leider auch die heran rollende Strassenbahn. Das klägliche Geheul eines Krankenwagens zerstreute das Grüppchen, welches den Alten umringt hatte.
Dieser indes rupfte vergnügt ein welkes Blatt auseinander, bis er nur noch den Stiel in der Hand hielt.

DEUTSCHER zu sein

DEUTSCHER zu sein
In Castrop-Rauxel
sei wissentlich anders
als Deutscher in
Kyritz oder
Anhalt-Zerbst,
sprach der Vertreter
für Herrensocken
aus dem südlichen
Hessen in den
Ostraum hinein.

An der Luft müsse
es liegen,
der versäuerten Luft nur,
verdorben von damals,
was man heute ja weiß …

Aber Deutscher in
GRAN-CHACO,
fragte ich ihn sehr logisch,
oder gar in Tsingtau?

Er kenne nur
BANGKOK,
und das auch sehr kurz nur,

sprach leis wie bedauernd
der Sockenprophet.

Nachmittäglicher Zustandsbericht

„Weißt du“, entgegnete ich ihr, es war an einem regnerischen Nachmittag, „wie sehr deine Augen dem Wetter ähneln“! „Dem Wetter in dir“, erwiderte sie, „denn in meinen Augen nimmst du nur dich wahr“.

Ich schwieg.

Der Regen draußen, war kein erfrischender, die ihn begleitende Kälte verhinderte dies. In ihren Augen glaubte ich die ersten Nebel zu erkennen und mein Atem verengte sich, während im Kopfe ein Brausen anschwoll. „Immerhin kannst du nichts für deinen Blick“, murmelte sie begütigend, fast mitleidig, „und ich sowieso nichts für meine Augen“.

Von den Blättern, draußen vor dem Fenster, tropfte das Unabänderliche herab.

Käse in Variationen

  1. Wieder saß der Rabe mit einem Käse auf dem Baum und der sich einstellende Fuchs, forderte ihn honigsüß zum Singen auf. „Ich bin doch nicht so blöd, zweimal auf den gleichen Trick herein zu fallen“, stieß der Rabe hervor und verlor den Leckerbissen erneut …
     
  2. Erneut kam der Rabe mit dem bewußten Käse angeflogen, doch der am Fuße des Stammes herum schnürende Fuchs beachtete ihn ganz und gar nicht. In dem Raben schwoll der Zorn und unbeherrscht wie wütend schmetterte er den Käse nach dem Fuchs …
     
  3. Wieder war es dem Raben gelungen, einen Käs‘ zu stehlen, doch weit und breit war kein Fuchs zu sehen. Den Raben ärgerte dies etwas, doch schließlich siegte die Gier in ihm und noch am Boden zerrte er an dem Käse herum. Wie ein Blitz kam der Fuchs aus dem Buschwerk geschossen und freute sich des doppelten Fangs. Doch war der Käse dieses Mal tatsächlich vergiftet …
     

Der Irrtum

Eine ungiftige und eine Giftschlange gerieten in Streit. „Du und deine Artgenossen, ihr tragt die Schuld, daß uns so viele Menschen nachstellen“, stieß die giftlose hervor. „Alles Gewäsch“, zischte die Giftschlange zurück, „wärst du mit deinem Volke so bewehrt wie wir,
gäbe es bald weniger Menschen, die uns nachstellten“!
Beide Tiere gerieten immer mehr in Zorn, reizten sich so sehr mit Schmähworten, daß keines den Menschen bemerkte, der sie beschlich. Dieser hielt die Giftlose für die Gefährlichere von beiden und schlug zuerst nach ihr. Die Giftschlange jedoch, reagierte sofort und biß ihn.
„Was für ein Glück“, dachte sie, als sie sich von den Leichnamen des Menschen und ihrer Artgenossin hinweg ringelte, „was für ein Glück,
daß die Menschen das Wesentliche stets zu spät erkennen“.

Der Stellvertreterkrieg

Bären und Wölfe rauften sich um die Herrschaft im Walde, doch konnte keine Partei die Alleinherrschaft erringen. Aus dieser Einsicht heraus schloß man einen Gewaltfrieden, doch trachtete jede Seite danach, die andere zu überlisten um der Möglichkeit vorzubeugen, daß einer von beiden durch den Frieden zu sehr gestärkt würde.
„Wir haben zwar Frieden mit den Wölfen“, meinte der Anführer der Bären, „aber nicht die anderen Tiere des Waldes. Stacheln wir sie doch zum Krieg gegen die Wölfe auf.“ „Das käme einem kompletten Vertragsbruch gleich“, mahnte ein anderer Bär, „ziehen wir lieber nur einen begrenzten Teil auf unsere Seite herüber“.
So geschah es, die Bären bemächtigten sich des Rotwilds, die Wölfe, aber, die derartige Tendenzen natürlich rechtzeitig beobachteten, des Schwarzwildes. Schließlich brachte man den Konflikt derart zum Sieden, daß es zum Kriege zwischen den jeweiligen Verbündeten von Bären und Wölfen kam. Dieser dauert beharrlich wie blutig an, lediglich die Füchse ließen sich nicht endgültig integrieren. Wechselweise helfen sie beiden Seiten, vermeiden jegliches Übergewicht und warten vergnügt darauf, daß ihre eigene Herrschaftsstunde kommen möge….“

Das Parlament der Tiere

Als der König der Tiere, der Löwe, an den Folgen seiner gewaltigen Gefräßigkeit verstorben war, kamen seine ehemaligen Untertanen zusammen, um zu beratschlagen, was nun zu tun sei. Einen neuen Herrscher von der gleichen Art wollten sie nicht, doch fand kein Tier einen geeigneten Vorschlag, bis sich schließlich der Fuchs zu Wort meldete. Er meinte, in Zukunft solle nicht ein Tier, sondern eine ganze Gruppe die Regentschaft verwalten. Der Vorschlag gefiel, bestimmt für das Ehrenamt wurden Fuchs, Wolf, Faultier, Hase und Papagei.

Dem müden Faultier war alles egal, es hängte sich an den nächsten Baum und schlief ein.
Der Papagei hatte Angst vor seinen neuen Verbündeten und flatterte ebenfalls auf einen Baum.
Der Hase, der den beiden Räubern nicht entkommen konnte, wurde prompt zerrissen.
Nun sind Fuchs und Wolf allein an der Macht und kommen doch zu keinem vernünftigen
Ergebnis, da keiner dem anderen mehr gönnt, als sich selbst.
Der Papagei hört vom Baum aus zu und plappert mal dem einen, mal dem anderen nach.
Das Faultier schläft weiter.

Aus der Steinzeit

Ein Urmensch hatte in einer Falle einen Hasen gefangen, freudig eilte er mit dieser schmackhaften Beute nach Haus. Doch ein anderer aus der Horde neidete ihm diesen Fang, es kam zum Streit und beide hieben mit den Faustkeilen aufeinander los. „Ihr solltet zur Strafe wieder Affen werden“, tobte der Stammesälteste, „ihr habt soeben den Krieg erfunden“.

Aus den Briefen der Asylantenkinder

Aus dem Brief des ersten Asylantenkindes:
Wir wohnen in einer schönen deutschen Stadt. Die schöne deutsche Stadt durchströmt ein alter deutscher Fluß. Löschwasser ist also glücklicherweise immer vorhanden.

Aus dem Brief des zweiten Asylantenkindes:
Die Menschen in Deutschland haben eine ganz andere Farbe. Aber die Farbe scheint ihnen nicht zu gefallen, darum wechseln sie diese sehr häufig.

Aus dem Brief des dritten Asylantenkindes:
Außer vielen kleinen gibt es auch viele große Deutsche. Großer Deutscher möchte ich aber nie sein, die sind meist schon sehr lange tot.

Aus dem Brief des vierten Asylantenkindes:
In Deutschland rauschen viele alte Eichen. Besonders viel zu rauschen haben sie im Herbst. Dann gibt es Nebel und der ist sehr gut für die Tarnung.

Aus dem Brief des fünften Asylantenkindes:
Fast alle Deutschen nennen sich Bürger. Die Nichtdeutschen hingegen werden nur beim Ausbürgern Bürger genannt.

Aus dem Brief des sechsten Asylantenkindes:
Wenn es einmal brenne, beruhigte mich eine nette deutsche Tante, sei das gar nicht so schlimm. Auch die Kinderchen damals hätten von ihrem Tod gar nicht viel mitbekommen.

Aus dem Brief des siebenten Asylantenkindes:
Die deutschen Ureinwohner loben ihr Bier und schwören auf dessen Reinheit. In ihren Köpfen jedoch, haben sie erst viel reines Bier getrunken, scheint es dennoch wirr zuzugehen.

Aus dem Brief des achten Asylantenkindes:
Deutsche Helden kommen fast immer in deutschen Heldensagen vor. Doch nicht alle deutschen Helden konnten bisher in deutschen Heldensagen Platz finden. Drum wäre es besser, es würden noch mehr deutsche Heldensagen erfunden.

Aus dem Brief des neunten Asylantenkindes:
Die deutschen Parteien sind alle streng demokratisch. Demokratie hat was mit Mitte zu tun. Und in der Mitte hält man es ja auch besser aus, als am Rande.

Aus dem Brief des zehnten Asylantenkindes:
….und es gibt eine deutsche Art, dem Nachbarn die Ellbogen auch noch lächelnd in die Rippen zu hauen. Die Einheimischen sagen Schunkeln dazu.